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Zwischen Vertrautheit und Freiheit: Was Freundschaft-plus-Beziehungen ausmacht

Wie lässt sich in einer Freundschaft-plus das Knistern am Leben halten, ohne dass es die Freundschaft verbrennt?

Zwei Menschen kennen sich, vertrauen sich, lachen miteinander. Sie teilen Erlebnisse, Geheimnisse – und irgendwann auch das Bett.

Es ist keine Liebe im klassischen Sinn, aber auch keine flüchtige Begegnung. Zwischen Freundschaft und Beziehung entsteht ein Raum, in dem Nähe und Sexualität Platz haben, ohne dass feste Versprechen dazugehören.

Diese Form wird Freundschaft-plus genannt. Sie bewegt sich zwischen Vertrautheit und Unverbindlichkeit – und fasziniert gerade deshalb. Doch wie funktioniert sie, und welche Bedingungen braucht es, damit sie nicht an den eigenen Grenzen scheitert?

Was Freundschaft-plus bedeutet

Freundschaft-plus entsteht in der Regel aus einer bestehenden, vertrauten Verbindung. Zwei Menschen teilen Erlebnisse, kennen die Eigenheiten des anderen, vertrauen einander – und fügen ihrer Freundschaft eine sexuelle Ebene hinzu. Die Beziehung bleibt dabei frei von den formalen Verpflichtungen einer klassischen Partnerschaft, ohne dass sie an Nähe verliert.

Um diese besondere Dynamik zu verstehen, eignet sich Robert Sternbergs Dreieckstheorie der Liebe. Sie beschreibt jede Liebesbeziehung als Zusammenspiel von Intimität, Leidenschaft und Verpflichtung. In einer Freundschaft-plus sind die ersten beiden Komponenten meist deutlich spürbar: die emotionale Verbundenheit, die aus der Freundschaft gewachsen ist, und die Anziehung, die zu körperlicher Intimität führt. Die dritte Komponente, die bewusste Entscheidung für eine langfristige Bindung, tritt dagegen oft in den Hintergrund oder fehlt ganz. Genau diese Konstellation – vertraut und leidenschaftlich, aber ohne feste Verpflichtung – macht die Freundschaft-plus zu einer eigenen, klar unterscheidbaren Beziehungsform.

Warum sie so viele anspricht

Unsere Vorstellungen von Partnerschaft haben sich stark verändert. Liebe ist heute oft weniger an feste Strukturen gebunden, und persönliche Freiheit wird vielfach höher geschätzt als klassische Bindung.

In diesem Zusammenhang kann Freundschaft-plus eine interessante Alternative sein. Sie bietet die Möglichkeit, sexuelle Intimität innerhalb einer vertrauten und sicheren Verbindung zu erleben. Gleichzeitig sorgt sie für weniger emotionale Unsicherheit, wie sie in neu entstehenden Liebesbeziehungen oft vorkommt. Zudem ermöglicht sie eine Flexibilität, die es erlaubt, individuelle Lebenspläne weiter zu verfolgen.

Gerade Menschen, die Unabhängigkeit schätzen, finden in dieser Beziehungsform eine stimmige Balance zwischen Nähe und Freiheit.

Zwischen Chance und Herausforderung

Empirische Untersuchungen zeigen, dass Freundschaft-plus keine marginale Erscheinung ist. Beispielsweise berichten etwa 60 % der befragten Studierenden, bereits Erfahrungen mit dieser Beziehungsform gemacht zu haben. Viele gehen davon aus, dass die ursprüngliche Freundschaft trotz sexueller Komponente weiterhin bestehen bleibt.

Dennoch ist die Freundschaft-plus nicht frei von Risiken. So kann es zu einseitigen Gefühlsentwicklungen kommen, die nicht kommunizierten Erwartungen können zu Missverständnissen führen, und die Beziehung – einschliesslich der Freundschaft – kann dadurch belastet oder sogar beendet werden. Eine zentrale Rolle spielt deshalb die offene und klare Kommunikation über Bedürfnisse, Grenzen und Erwartungen. Insbesondere präventive Gespräche sind wichtig, um potenziellen Konflikten vorzubeugen und die Beziehung dynamisch an veränderte Umstände anzupassen.

Was sie stabil macht

Neben gegenseitigem Vertrauen sind Respekt und Wertschätzung grundlegend, die über die rein sexuelle Komponente hinausgehen.

Eine ehrliche Kommunikation, die auch Unsicherheiten und Zweifel offenlegt, ist essenziell. Zudem erfordert diese Beziehungsform eine gewisse Flexibilität und Bereitschaft zur Anpassung, wenn sich Gefühle, Bedürfnisse oder Lebensumstände verändern.

Unter diesen Bedingungen kann Freundschaft-plus zu einer Verbindung werden, die sowohl emotionale Leichtigkeit als auch eine gewisse Tiefe ermöglicht, ohne dabei die klassischen Erwartungen an eine feste Partnerschaft zu erfüllen.

Fazit: Freundschaft-plus funktioniert, wenn Nähe und Freiheit im Gleichgewicht bleiben.

Freundschaft-plus ist eine eigenständige Beziehungsform, die keine blosse Übergangslösung darstellt. Sie erfordert Klarheit, Offenheit und das Bewusstsein, dass Nähe und Verbundenheit auf vielfältige Weise gelebt werden können.

Wer die dafür notwendige kommunikative und emotionale Grundlage schafft, kann eine wertvolle Verbindung erleben, die sich deutlich von traditionellen Partnerschaftsmodellen unterscheidet, dabei aber nicht minder bedeutsam ist.

Master Studentin MA7
Besa Shehu

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Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einer Studentin verfasst wurde. Das vollständige Essay kann hier gelesen werden. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.

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Essay Blogpost Sexualität

Er kommt. Sie nicht. Warum das kein Zufall ist – und wie wir den Orgasmus-Gap schliessen

Warum so viele Frauen seltener zum Orgasmus kommen – und wie wir das ändern können

Du liegst neben deinem Partner, das Herz schlägt noch schnell, er lächelt zufrieden – und du? Du lächelst zurück, obwohl du innerlich denkst: Irgendwas fehlt. Nicht, weil du nicht „kannst“ oder „falsch“ empfindest, sondern weil das Drehbuch, nach dem euer Sex abläuft, einfach nicht auf dich zugeschnitten ist.

Willkommen im Gender Orgasm Gap – einer Lücke, die seit Jahrzehnten bekannt ist und trotzdem hartnäckig bestehen bleibt.

Studien zeigen: In heterosexuellen Begegnungen erleben Männer im Schnitt 30 % häufiger einen Orgasmus als Frauen. Seit den 1960ern wird geforscht, diskutiert, empfohlen – und doch ist diese Differenz heute noch genauso gross wie damals.

Die Anatomie der Lust – und der Mythos vom „richtigen“ Orgasmus

Dass es bei Frauen den einen „wahren“ Orgasmus gibt – den vaginalen –, war eine von Freuds berüchtigten Thesen. Und auch wenn diese längst wissenschaftlich widerlegt ist, schwebt sie immer noch wie ein leiser Schatten über unserer Sexualkultur. Fakt ist: Fast jeder Orgasmus einer Frau ist klitoral mitbedingt. Egal ob er bei Penetration, oraler Stimulation oder Masturbation entsteht.

Das Problem: In unserem gängigen Verständnis von Sex (verstärkt durch Pornografie, Medien und tradierte Rollenbilder) ist Penis-in-Vagina die Hauptsache – alles andere gilt als „Vorspiel“. Dabei ist gerade die gezielte Stimulation der Klitoris oft der Schlüssel zum Höhepunkt.

Warum die Lücke bestehen bleibt

Es ist nicht so, dass Frauen „schwieriger“ zum Orgasmus kommen. Beim gleichgeschlechtlichen Sex oder bei der Selbstbefriedigung erreichen sie ihn genauso zuverlässig wie Männer. Das Problem liegt vielmehr im Setting:

  • Zu wenig klitorale Stimulation beim heterosexuellen Sex
  • Unterschiedliche Erregungskurven – Frauen brauchen im Schnitt etwa 20 Minuten, Männer oft nur wenige
  • Tief verankerte Geschlechterrollen – der männliche Orgasmus gilt als selbstverständlich, der weibliche als „nice to have“
  • Scham und gesellschaftliche Tabus rund um Lust, Sexspielzeug und „abweichende“ Praktiken

Diese Mischung führt dazu, dass Frauen ihre Bedürfnisse oft nicht einfordern – und Männer sie nicht automatisch einbeziehen.

Orgasm Equality – gleiche Chancen für Lust

„Orgasm Equality“ beschreibt eine Sexualität, in der beide Partner gleichermassen im Fokus stehen – und die Bedürfnisse beider ernst genommen werden. Das erfordert nicht nur neue Impulse im Schlafzimmer, sondern auch ein kulturelles Umdenken: weg von der männerzentrierten Vorstellung, hin zu einer vielfältigen, lustorientierten Sexualität, in der klitorale Stimulation, Variation und offene Kommunikation selbstverständlich sind.

Fazit: Der weibliche Orgasmus ist kein Nebenplot.

Der Gender Orgasm Gap ist kein individuelles Versagen – er ist ein Spiegel struktureller Ungleichheit. Ihn zu schliessen, bedeutet mehr als „nur“ besseren Sex: Es geht um Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und ein neues Verständnis von Sexualität.

Master Studentin MA7
Elvira Gübeli

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Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einer Studentin verfasst wurde. Das vollständige Essay kann hier gelesen werden. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.

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«Ein echter Mann weint nicht» – und andere Mythen, die schaden

Warum männliche Emanzipation ein Gewinn für alle ist

Was macht einen Mann zum Mann? Muskeln? Durchhaltewille? Kontrolle über sich – und andere?

Viele wachsen genau mit diesen Bildern auf. Und sie zahlen einen hohen Preis dafür.

Denn wer gelernt hat, Gefühle zu unterdrücken, Nähe zu meiden und Probleme allein zu lösen, steht irgendwann vor einer Leere. Einer inneren Erschöpfung, die nicht nur Männer selbst betrifft – sondern auch alle, die mit ihnen leben, lieben, arbeiten.

In einer Zeit, in der feministische Bewegungen alte Rollenmuster erfolgreich infrage stellen, geraten nun auch Männer ins Wanken. Und das ist gut so. Denn Emanzipation hört nicht beim weiblichen Körperbild auf – sie betrifft alle Geschlechter. Auch den Mann, der nicht mehr weiss, wie er fühlen darf.

Männlichkeit, wie wir sie kennen, funktioniert nicht mehr

Toxische Männlichkeit ist mehr als ein Schlagwort. Sie beschreibt ein kulturell verankertes Ideal, das Männern früh einprägt: Du musst hart sein. Dominant. Emotional kontrolliert. Niemals hilfsbedürftig.

Schon Kleinkinder spüren diesen Druck. Sie bekommen weniger Zuwendung, werden für Tränen getadelt, für Aggressionen aber bewundert. Die Folge? Eine psychische Rüstung, die später zu Depressionen, sozialer Isolation oder sogar Gewaltverhalten führen kann. Männer sprechen seltener über ihre Gefühle und suchen seltener Hilfe.

Aber genau diese Form von „Stärke“ ist trügerisch. Sie verhindert Bindung. Sie blockiert Entwicklung. Und sie schadet nicht nur Männern – sondern auch Frauen, Kindern, Beziehungen und Gesellschaften.

Wenn Männer sich selbst entfremden

Viele Männer stecken in einem inneren Widerspruch: Sie wollen dazugehören, Nähe spüren, verstanden werden – aber gleichzeitig das Bild des starken, autonomen Mannes aufrechterhalten. Das Resultat ist eine doppelte Entfremdung: von anderen und von sich selbst.

Wer seine Gefühle nicht zeigen darf, verliert die Fähigkeit, sie überhaupt zu erkennen. Wer keine Schwäche zeigen darf, vermeidet jede Verletzlichkeit – selbst in der Partnerschaft, der Familie, der Therapie. Das hat Folgen: für die psychische Gesundheit, für die Konfliktkultur, für die Qualität von Beziehungen.

Und: Es macht Männer anfällig für Radikalisierung. Dort, wo sie Anerkennung und ein vermeintlich klares Rollenbild finden – oft online – verfestigen sich reaktionäre Männlichkeitsbilder, gepaart mit Frauenverachtung und Queerfeindlichkeit.

Es gibt einen Ausweg – aber er braucht Mut

Emanzipation ist nicht bequem. Sie bedeutet, sich selbst infrage zu stellen. Sich der eigenen Verletzlichkeit zu stellen. Und vor allem: Verantwortung zu übernehmen – für sich, für andere, für gesellschaftlichen Wandel.

Die gute Nachricht: Es gibt konkrete Ansätze, wie Männer den Ausstieg aus starren Rollenbildern schaffen können – und wie wir sie dabei begleiten. Studien zeigen: Männer öffnen sich eher, wenn sie erleben, dass andere Männer dasselbe tun. Wenn sie spüren, dass Hilfe kein Zeichen von Schwäche, sondern von Entwicklung ist.

Ob durch geschlechtersensible Bildung, psychotherapeutische Angebote, Männergruppen oder Community-Arbeit – überall dort, wo neue Bilder von Männlichkeit gelebt und gespiegelt werden, entsteht Bewegung. Und Heilung.

Was hat das mit Sexologie zu tun?

Alles.

Denn Sexologie ist nie nur Körperwissen. Es geht um Identität, Beziehung, Intimität, Macht, Rollenbilder – und darum, wie wir Menschen auf ihrem Weg zu einem authentischen, verbundenen Leben begleiten.

Wer in diesem Feld arbeitet, begegnet Männern, die nicht gelernt haben, über Bedürfnisse zu sprechen. Jungen, die am Männlichkeitsdruck zerbrechen.

Männliche Emanzipation ist ein zentraler Bestandteil sexualpädagogischer und therapeutischer Arbeit – und eine enorme Chance für Veränderung auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene.

Fazit: Männliche Emanzipation ist zentral für unsere Gesellschaft

Die Auflösung starrer Männlichkeitsbilder ist kein Angriff auf Männer, sondern ein Angebot zur Befreiung. Männer, die Zugang zu ihren Gefühlen finden, die Verantwortung übernehmen – für sich, für Beziehungen, für Care-Arbeit – tragen zu einer Gesellschaft bei, die gerechter, gesünder und menschlicher ist.

Die Sexologie kann hier entscheidende Impulse geben: Sie schafft Räume für Reflexion, begleitet Veränderung und verbindet wissenschaftliche Tiefe mit gesellschaftlicher Relevanz.

Wer die Zukunft der Geschlechterbeziehungen mitgestalten will, muss auch über Männlichkeit sprechen. Denn erst, wenn Männer wieder fühlen dürfen, entsteht Raum für Beziehungen auf Augenhöhe – in denen Nähe nicht als Bedrohung, sondern als Stärke erlebt wird. In denen Fürsorge nicht delegiert, sondern geteilt wird. Und in denen Identität nicht an Härte gemessen wird, sondern an der Fähigkeit, sich selbst und anderen wirklich zu begegnen.

Master Student MA7
Marc Steiner

Hier das ganze Essay lesen:

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Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einem Student verfasst wurde. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.

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Zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung – Eine neue Diagnose in der Sexualwissenschaft

Einleitung

Die Sexualität eines Menschen ist ein weites Feld, das viele Facetten hat – sowohl positive als auch herausfordernde. Eine der neueren Entwicklungen im Bereich der Sexualwissenschaft ist die Aufnahme der zwanghaften sexuellen Verhaltensstörung (Compulsive Sexual Behavior Disorder, CSBD) in die 11. Ausgabe der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11). Diese Diagnose bietet Fachleuten im Bereich der Sexualwissenschaft neue Einblicke und Handlungsansätze für die Behandlung von Personen, die unter unkontrolliertem sexuellem Verhalten leiden.

Was ist CSBD?

CSBD beschreibt das anhaltende Unvermögen, intensive, sich wiederholende sexuelle Impulse oder Triebe zu kontrollieren. Diese Unkontrollierbarkeit äussert sich oft in problematischem Verhalten, das trotz negativer Folgen fortgesetzt wird. Dabei können sowohl das eigene Wohlbefinden als auch soziale Beziehungen erheblich beeinträchtigt werden. Besonders bemerkenswert ist, dass CSBD nicht auf eine spezifische sexuelle Aktivität beschränkt ist – es kann sich um problematisches Verhalten in Bezug auf Masturbation, Pornografiekonsum oder sexuelle Handlungen mit anderen handeln.

Was unterscheidet CSBD von einer Sucht?

Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung, dass unkontrollierbare sexuelle Impulse eine “Sexsucht” darstellen, wird CSBD nicht als Sucht klassifiziert. Vielmehr handelt es sich um eine Impulskontrollstörung, die in der ICD-11 unter den psychischen und Verhaltensstörungen gelistet wird. Diese Unterscheidung ist entscheidend für das Verständnis und die Behandlung der Betroffenen. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten zwischen CSBD und Suchterkrankungen, wie etwa Entzugserscheinungen und Toleranz, doch die diagnostischen Kriterien konzentrieren sich auf die Kontrolle der Impulse, nicht auf den zwanghaften Drang nach Befriedigung.

Die Komplexität der Diagnose

Studien haben gezeigt, dass Personen, die unter CSBD leiden, oft mit weiteren psychischen Problemen zu kämpfen haben. Depressive Störungen, Substanzmissbrauch und Impulskontrollstörungen treten häufig parallel zu CSBD auf, was die Behandlung erschwert. Ein umfassender therapeutischer Ansatz, der sowohl die sexuelle Problematik als auch begleitende psychische Erkrankungen berücksichtigt, ist daher unerlässlich.

Was bedeutet CSBD für die Sexualwissenschaft?

Die Aufnahme von CSBD in die ICD-11 ist ein bedeutender Schritt, um zwanghaftes sexuelles Verhalten wissenschaftlich zu erfassen und es von pathologischen oder moralischen Bewertungen zu lösen. Dadurch entsteht ein klarer Rahmen für die Diagnose und Therapie, der es Fachleuten ermöglicht, fundierte Behandlungsansätze zu entwickeln. Doch es bleibt noch viel zu tun: Die Forschung rund um CSBD steht noch am Anfang, und viele Betroffene suchen aus Scham oder Unwissenheit keine professionelle Hilfe.

Fazit

Die zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung ist eine neue und wichtige Diagnose in der Sexualwissenschaft. Sie ermöglicht es Fachpersonen, Menschen mit problematischem Sexualverhalten besser zu unterstützen und ihnen einen Weg aus dem Leiden zu zeigen. Gleichzeitig eröffnet die Diagnose Raum für weitere Forschung, um die Stigmatisierung zu verringern und das Verständnis für sexuelle Verhaltensstörungen zu vertiefen.

Master Studentin MA6
Andrea Wälti

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Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung – Einblicke in Ursachen und Therapieansätze

Einleitung

Sex sollte Freude und Nähe bringen – doch für viele Frauen ist er mit Schmerzen verbunden. Die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung, früher bekannt als Dyspareunie und Vaginismus, bezeichnet anhaltende oder wiederkehrende Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Diese Erkrankung ist oft mit hohem Leidensdruck verbunden und beeinflusst nicht nur das sexuelle Erleben, sondern auch die Lebensqualität und Beziehungen der betroffenen Frauen.


Die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung, auch bekannt als Dyspareunie und Vaginismus, ist eine komplexe Erkrankung, die mit Schmerzen im Genital- und Beckenbereich, Angst, Verkrampfungen der Beckenbodenmuskulatur, Leidensdruck sowie einer Beeinträchtigung der Lebensqualität und Beziehungen einhergeht, deren Ursachen sowohl körperlicher (z. B. hormonelle Veränderungen, Entzündungen) als auch psychischer Natur (z. B. Trauma, negative sexuelle Erfahrungen) sind und deren Therapieansätze von multidisziplinären Maßnahmen wie Physiotherapie, Beckenbodentraining und kognitiver Verhaltenstherapie bis hin zu Achtsamkeitstraining und dem Angst-Vermeidungsmodell reichen, um den Kreislauf aus Schmerz, Angst und Vermeidung zu durchbrechen und die sexuelle Zufriedenheit sowie Lebensqualität zu fördern.

Was ist die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung?

Diese Störung umfasst eine Reihe von Symptomen: Schmerzen im Genital- und Beckenbereich, Schwierigkeiten bei der vaginalen Penetration, Angst vor Schmerzen und Verkrampfungen der Beckenbodenmuskulatur. Die Diagnose basiert auf verschiedenen Kriterien, wie etwa der Persistenz der Symptome über mindestens sechs Monate und dem empfundenen Leidensdruck.

Die Erkrankung kann sowohl körperliche als auch psychische Ursachen haben. Auf körperlicher Ebene spielen Faktoren wie hormonelle Veränderungen, genetische Veranlagungen oder Entzündungen eine Rolle. Psychisch können negative Erfahrungen und Ängste die Schmerzverarbeitung beeinflussen, was den Leidensdruck verstärkt und zu Vermeidungsverhalten führt.

Ursachen und psychologische Einflussfaktoren

Die Entstehung dieser Schmerzstörung ist komplex und erfordert eine biopsychosoziale Betrachtung. So wird nicht nur die körperliche Ebene berücksichtigt, sondern auch psychische und soziale Aspekte. Eine negative Wahrnehmung von Sexualität, traumatische Erfahrungen oder eine fehlende sexuelle Bildung können die Störung begünstigen. Betroffene Frauen entwickeln häufig Angst vor Schmerzen, was wiederum dazu führen kann, dass sie sexuelle Kontakte vermeiden. Dieser Kreislauf aus Schmerz, Angst und Vermeidung verstärkt die Problematik und kann zu weiteren psychosomatischen Beschwerden wie Depressionen und Angststörungen führen.

Die Rolle des Partners oder der Partnerin und die Beziehungsebene

Auch die Reaktion des Partners oder der Partnerin auf die Schmerzen spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit der Störung. Ein*e verständnisvolle*r Partner*in, der unterstützend reagiert, kann die emotionale Belastung lindern und die sexuelle Zufriedenheit beider fördern. Eine offene Kommunikation und die gemeinsame Bewältigung der Herausforderung tragen dazu bei, dass Betroffene weniger leiden und sich wieder der sexuellen Beziehung öffnen können.

Therapieansätze und Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung der Genito-Pelvinen Schmerz-Penetrationsstörung ist komplex und erfordert oft einen multidisziplinären Ansatz. Körperliche Therapien wie Physiotherapie, Beckenbodentraining und Dilatation können helfen, die Symptome zu lindern und die Kontrolle über die Muskulatur zurückzugewinnen. Gleichzeitig spielen psychotherapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie und Achtsamkeitstraining eine wichtige Rolle, um negative Denkmuster und Ängste abzubauen.

Ein weiterer Ansatz ist das Angst-Vermeidungsmodell, das den Umgang mit Schmerzängsten trainiert und das Vermeidungsverhalten reduziert. So wird Betroffenen geholfen, sich dem Geschlechtsverkehr ohne Angst zu nähern und schrittweise positive Erfahrungen zu sammeln.

Fazit

Die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung ist eine schmerzhafte und belastende Erkrankung, die tief in das Leben und die Beziehungen der Betroffenen eingreifen kann. Doch es gibt Hoffnung: Durch ein multimodales Therapiekonzept und die Einbindung aller beteiligten Partner kann ein Weg zu mehr Lebensqualität und erfüllter Sexualität gefunden werden. Die Forschung rund um diese Störung ist noch jung, und es bedarf weiterer Untersuchungen, um die Therapieansätze zu optimieren und mehr Bewusstsein bei Gesundheitsexpert*innen zu schaffen.

Master Studentin MA6
Nadia Wyss

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Sexualität und Querschnittlähmung – Eine Herausforderung und Chance

Einleitung

Sexualität ist ein Grundbedürfnis, doch was passiert, wenn eine Querschnittlähmung dieses intime Erlebnis verändert? Viele Betroffene stehen vor der Herausforderung, ihren Körper neu kennenzulernen. Dabei entstehen zahlreiche Fragen, die oft unbeantwortet bleiben. Es ist wichtig zu wissen, dass trotz der Einschränkungen ein erfülltes Sexualleben möglich ist. In diesem Beitrag beleuchten wir, wie Menschen mit Querschnittlähmung ihre Sexualität neu entdecken können.

Sexualität und Querschnittlähmung: Einblicke in die Herausforderungen und Chancen für ein erfülltes Sexualleben nach einer Rückenmarksverletzung. Entdecke, wie das Modell Sexocorporel und gezielte Rehabilitation Menschen mit Querschnittlähmung unterstützen, neue Erregungsmuster zu entwickeln und Intimität wiederzuentdecken.

Die physischen Herausforderungen

Personen mit Querschnittlähmung erleben gravierende Veränderungen in ihrem Sexualleben. Diese sind abhängig von der Höhe der Rückenmarkverletzung und dem biologischen Geschlecht. Eine Querschnittlähmung beeinträchtigt Nervenbahnen, die für die sexuelle Erregung und Funktionen zuständig sind. Während Männer* häufig mit Erektions- und Ejakulationsproblemen zu kämpfen haben, betrifft es bei Frauen* oft die Lubrikation und das Empfinden im Intimbereich. Doch das bedeutet nicht, dass sexuelle Erlebnisse unmöglich sind. Mit der richtigen Unterstützung können Betroffene ihre Sexualität auf neue Weise erleben.

Sexualität bei Menschen mit Vulva (MMV)

Für querschnittgelähmte Frauen* bleiben hormonell gesteuerte Prozesse wie der Eisprung und die Fruchtbarkeit intakt, auch wenn die Menstruation nach einer Verletzung für eine Weile aussetzen kann. Die Herausforderung liegt jedoch in der verminderten Sensibilität und der fehlenden Lubrikation, die den sexuellen Akt erschweren. Durch Übung und den Einsatz von Vibrationsstimulation können dennoch orgasmische Zustände erreicht werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft Schwangerschaften bei Frauen* mit Querschnittlähmung. Trotz körperlicher Einschränkungen sind gesunde Schwangerschaften und Geburten möglich. Allerdings erfordert dies zusätzliche medizinische Unterstützung, insbesondere während der Geburt, um Komplikationen wie Blasenprobleme oder Atemnot zu vermeiden.

Sexualität bei Menschen mit Penis (MMP)

Männer* mit Querschnittlähmung kämpfen häufig mit Erektionsstörungen, da die nervale Steuerung beeinträchtigt ist. Mechanische Hilfsmittel wie Vakuumpumpen oder medikamentöse Therapien können helfen, eine Erektion zu erzielen. Auch operativ eingesetzte Prothesen sind eine Option für Männer*, die eine dauerhafte Lösung suchen.

Obwohl es oft nicht zu einem natürlichen Samenerguss kommt, gibt es Möglichkeiten, Sperma für eine künstliche Befruchtung zu gewinnen. Durch Vibrationsstimulation oder rektale Elektrostimulation kann die Zeugungsfähigkeit auch bei schwerwiegender Lähmung unterstützt werden.

Die sexuelle Rehabilitation

Nach einer Querschnittlähmung durchlaufen Betroffene oft mehrere Phasen der sexuellen Rehabilitation. In der ersten Phase herrscht Verunsicherung und die Wahrnehmung des eigenen Körpers kann negativ beeinflusst sein. Viele fühlen sich unattraktiv oder unfähig, sexuelle Nähe zu erleben. Es ist wichtig, dass Betroffene in ihrem eigenen Tempo lernen, neue Wege zur sexuellen Erregung zu entdecken.

In der zweiten Phase des Experimentierens beginnen sie, neue sexuelle Möglichkeiten zu erforschen. Erfolgserlebnisse steigern das Selbstwertgefühl und fördern die Akzeptanz des eigenen Körpers. Schliesslich erreichen viele die dritte Phase des Geniessens, in der sie die Querschnittlähmung als Chance sehen, Sexualität neu zu erleben.

Das Modell Sexocorporel als Unterstützung

Das Modell Sexocorporel bietet einen lösungsorientierten Ansatz, um Betroffenen dabei zu helfen, ihre Sexualität trotz körperlicher Einschränkungen zu geniessen. Es legt den Fokus auf das Erlernen und Verändern von sexuellen Gewohnheiten, um neue Erregungsmuster zu schaffen. Besonders die Phase des Experimentierens im Rehabilitationsprozess lässt sich mit den Techniken des Sexocorporel gut verknüpfen.

Fazit

Die Sexualität von Menschen mit Querschnittlähmung mag sich verändern, aber sie ist keinesfalls verloren. Durch eine gezielte sexuelle Rehabilitation und Unterstützung durch Fachkräfte können Betroffene ein erfülltes Sexualleben führen. Mit der richtigen Einstellung und dem Mut, neue Wege zu gehen, können alte Normen überwunden und neue, lustvolle Erfahrungen gemacht werden.

Master Studentin MA6
Maria-Selina Scherrer

Originalarbeit:

Interessierst du dich für solche Themen und möchtest du tiefer in die Welt der Sexualwissenschaft eintauchen? Der Master of Arts in Sexologie bietet dir die Möglichkeit, dich intensiv mit sexualwissenschaftlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Melde dich jetzt für den Infoabend oder direkt für den Studiengang an!

Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einer Studentin verfasst wurde. Das vollständige Essay kann hier gelesen werden. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.

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Sexualität

Club mit Esther Elisabeth Schütz «Sex im Alter»

Dienstag, 03.01.2023

Viele Menschen sind auch im Alter noch sexuell aktiv. Im Alltag jedoch spricht kaum jemand über ihre Sexualität.

Wie verändert sich die Sexualität im Alter? Wie kann man sie erhalten oder wiederbeleben? Und wie gehen Institutionen mit sexuellen Bedürfnissen von Betagten um?

Mit Mario Grossniklaus diskutieren:

Video Club «Sex im Alter»: