
Könnte bald mehr als nur Kondom oder Vasektomie zur Wahl stehen?
Seit Jahrzehnten ist Verhütung vor allem eines: Frauensache. Menschen mit Vulva können aus einer breiten Palette wählen – Pille, Spirale, Implantat, Pflaster, Ring – angepasst an Lebensphase, Gesundheit und persönliche Vorlieben. Menschen mit Penis hingegen haben seit Generationen nur zwei verlässliche Optionen: Kondom oder Vasektomie.
Diese Schieflage hat Folgen: Die körperliche und mentale Last der Verhütungsverantwortung liegt meist bei einem Geschlecht. Doch in Forschungslabors weltweit arbeiten Wissenschaftler*innen daran, diese Lücke zu schliessen. Von hormonellen Präparaten über thermische Methoden bis hin zu innovativen Wirkstoffen entstehen Möglichkeiten, die das Verhütungsspiel grundlegend verändern könnten – für mehr Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Wahlfreiheit in der Sexualität.
Hormonelle Ansätze – altbekanntes Prinzip, neue Herausforderungen
Hormonelle Ansätze – altbekanntes Prinzip, neue Herausforderungen
Das Konzept ist simpel: Hormone unterdrücken die körpereigene Testosteronproduktion in den Hoden und stoppen so die Spermienbildung. Damit Libido, Muskelkraft und andere Funktionen erhalten bleiben, muss gleichzeitig genügend Testosteron im Blut zirkulieren.
Studien belegen, dass Kombinationen aus Testosteron und Progestin sehr wirksam sein können – sei es als Gel, Injektion oder in Tablettenform. Doch Nebenwirkungen wie Akne, Stimmungsschwankungen oder veränderte Cholesterinwerte bremsen die Akzeptanz.
Hinzu kommt die pharmazeutische Hürde: Orales Testosteron wird zu schnell abgebaut, um als tägliche Pille zu funktionieren. Neue Wirkstoffe wie Dimethandrolonundecanoat oder 11-Methyl-Nortestosteron-Dodecylcarbonat könnten dieses Problem lösen und gleichzeitig das Risiko von Haarausfall oder anderen unerwünschten Effekten senken. Die klinische Erprobung läuft – eine Markteinführung ist aber noch nicht in Sicht
Nicht-hormonelle Methoden
Wer den Hormonhaushalt unangetastet lassen möchte, findet in der Forschung gleich mehrere spannende Ansätze:
Thermische Verhütung: Der Andro-Switch – ein Silikonring, der Penis und Hoden umfasst – zieht die Hoden leicht in die Leiste. Dort steigt ihre Temperatur, was die Spermienproduktion nach einigen Monaten deutlich reduziert. Der Effekt ist reversibel und hormonfrei. Trotz jahrzehntelanger Forschung ist die Methode wenig bekannt – auch, weil sie sich schlecht kommerzialisieren lässt: einmal gekauft, hält das Gerät lange.
Proteinblocker: Medikamente, die gezielt Eiweisse ausschalten, die für die Spermienproduktion entscheidend sind. Die Wirkung wäre vorübergehend und umkehrbar – ein Konzept, das in Laborstudien bereits funktioniert, aber noch klinische Tests braucht.
Physische Barrieren im Samenleiter: Methoden wie RISUG und Vasalgel blockieren den Durchgang der Spermien. Sie könnten jahrelang wirksam sein und sich möglicherweise rückgängig machen lassen.
Forschung zwischen Fortschritt und Stillstand
So vielversprechend diese Entwicklungen sind – der Weg in den Alltag ist steinig. Regulatorische Vorgaben fehlen, klinische Studien sind teuer, und die Zielgruppe gilt der Industrie als „zu klein“. Viele grosse Pharmakonzerne haben sich zurückgezogen.
Getragen wird die Forschung heute vor allem von NGOs und Stiftungen wie der Male Contraceptive Initiative. Doch auch hier sind die Mittel begrenzt – und ohne Investitionen droht der Fortschritt zu stocken.
Was auf dem Spiel steht
Neue Verhütungsmethoden für Menschen mit Penis könnten mehr sein als nur technische Innovationen. Sie würden Verantwortung neu verteilen, Partnerschaften entlasten und die sexuelle Selbstbestimmung auf beiden Seiten stärken.
Dass diese Entwicklung ins Stocken geraten ist, hat nicht nur mit Geld zu tun, sondern auch mit gesellschaftlicher Prioritätensetzung. Solange die Erwartung bleibt, dass „Verhütung Frauensache“ ist, fehlt der Druck, Alternativen schnell marktreif zu machen.
Fazit: Neue Wege ebnen den Weg zu geteilter Verantwortung.
Die Forschung hat das Potenzial, das Gesicht der Verhütung zu verändern – weg von der einseitigen Last, hin zu echter Wahlfreiheit. Doch ohne klare Regularien, stabile Finanzierung und gesellschaftlichen Willen bleibt dieses Potenzial ungenutzt.
Master Student MA7
Alessio Jäger

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Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einem Student verfasst wurde. Das vollständige Essay kann hier gelesen werden. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.














