
Warum männliche Emanzipation ein Gewinn für alle ist
Was macht einen Mann zum Mann? Muskeln? Durchhaltewille? Kontrolle über sich – und andere?
Viele wachsen genau mit diesen Bildern auf. Und sie zahlen einen hohen Preis dafür.
Denn wer gelernt hat, Gefühle zu unterdrücken, Nähe zu meiden und Probleme allein zu lösen, steht irgendwann vor einer Leere. Einer inneren Erschöpfung, die nicht nur Männer selbst betrifft – sondern auch alle, die mit ihnen leben, lieben, arbeiten.
In einer Zeit, in der feministische Bewegungen alte Rollenmuster erfolgreich infrage stellen, geraten nun auch Männer ins Wanken. Und das ist gut so. Denn Emanzipation hört nicht beim weiblichen Körperbild auf – sie betrifft alle Geschlechter. Auch den Mann, der nicht mehr weiss, wie er fühlen darf.
Männlichkeit, wie wir sie kennen, funktioniert nicht mehr
Toxische Männlichkeit ist mehr als ein Schlagwort. Sie beschreibt ein kulturell verankertes Ideal, das Männern früh einprägt: Du musst hart sein. Dominant. Emotional kontrolliert. Niemals hilfsbedürftig.
Schon Kleinkinder spüren diesen Druck. Sie bekommen weniger Zuwendung, werden für Tränen getadelt, für Aggressionen aber bewundert. Die Folge? Eine psychische Rüstung, die später zu Depressionen, sozialer Isolation oder sogar Gewaltverhalten führen kann. Männer sprechen seltener über ihre Gefühle und suchen seltener Hilfe.
Aber genau diese Form von „Stärke“ ist trügerisch. Sie verhindert Bindung. Sie blockiert Entwicklung. Und sie schadet nicht nur Männern – sondern auch Frauen, Kindern, Beziehungen und Gesellschaften.
Wenn Männer sich selbst entfremden
Viele Männer stecken in einem inneren Widerspruch: Sie wollen dazugehören, Nähe spüren, verstanden werden – aber gleichzeitig das Bild des starken, autonomen Mannes aufrechterhalten. Das Resultat ist eine doppelte Entfremdung: von anderen und von sich selbst.
Wer seine Gefühle nicht zeigen darf, verliert die Fähigkeit, sie überhaupt zu erkennen. Wer keine Schwäche zeigen darf, vermeidet jede Verletzlichkeit – selbst in der Partnerschaft, der Familie, der Therapie. Das hat Folgen: für die psychische Gesundheit, für die Konfliktkultur, für die Qualität von Beziehungen.
Und: Es macht Männer anfällig für Radikalisierung. Dort, wo sie Anerkennung und ein vermeintlich klares Rollenbild finden – oft online – verfestigen sich reaktionäre Männlichkeitsbilder, gepaart mit Frauenverachtung und Queerfeindlichkeit.
Es gibt einen Ausweg – aber er braucht Mut
Emanzipation ist nicht bequem. Sie bedeutet, sich selbst infrage zu stellen. Sich der eigenen Verletzlichkeit zu stellen. Und vor allem: Verantwortung zu übernehmen – für sich, für andere, für gesellschaftlichen Wandel.
Die gute Nachricht: Es gibt konkrete Ansätze, wie Männer den Ausstieg aus starren Rollenbildern schaffen können – und wie wir sie dabei begleiten. Studien zeigen: Männer öffnen sich eher, wenn sie erleben, dass andere Männer dasselbe tun. Wenn sie spüren, dass Hilfe kein Zeichen von Schwäche, sondern von Entwicklung ist.
Ob durch geschlechtersensible Bildung, psychotherapeutische Angebote, Männergruppen oder Community-Arbeit – überall dort, wo neue Bilder von Männlichkeit gelebt und gespiegelt werden, entsteht Bewegung. Und Heilung.
Was hat das mit Sexologie zu tun?
Alles.
Denn Sexologie ist nie nur Körperwissen. Es geht um Identität, Beziehung, Intimität, Macht, Rollenbilder – und darum, wie wir Menschen auf ihrem Weg zu einem authentischen, verbundenen Leben begleiten.
Wer in diesem Feld arbeitet, begegnet Männern, die nicht gelernt haben, über Bedürfnisse zu sprechen. Jungen, die am Männlichkeitsdruck zerbrechen.
Männliche Emanzipation ist ein zentraler Bestandteil sexualpädagogischer und therapeutischer Arbeit – und eine enorme Chance für Veränderung auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene.
Fazit: Männliche Emanzipation ist zentral für unsere Gesellschaft
Die Auflösung starrer Männlichkeitsbilder ist kein Angriff auf Männer, sondern ein Angebot zur Befreiung. Männer, die Zugang zu ihren Gefühlen finden, die Verantwortung übernehmen – für sich, für Beziehungen, für Care-Arbeit – tragen zu einer Gesellschaft bei, die gerechter, gesünder und menschlicher ist.
Die Sexologie kann hier entscheidende Impulse geben: Sie schafft Räume für Reflexion, begleitet Veränderung und verbindet wissenschaftliche Tiefe mit gesellschaftlicher Relevanz.
Wer die Zukunft der Geschlechterbeziehungen mitgestalten will, muss auch über Männlichkeit sprechen. Denn erst, wenn Männer wieder fühlen dürfen, entsteht Raum für Beziehungen auf Augenhöhe – in denen Nähe nicht als Bedrohung, sondern als Stärke erlebt wird. In denen Fürsorge nicht delegiert, sondern geteilt wird. Und in denen Identität nicht an Härte gemessen wird, sondern an der Fähigkeit, sich selbst und anderen wirklich zu begegnen.
Master Student MA7
Marc Steiner

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Disclaimer:
Dieser Artikel basiert auf einem Essay, das im Rahmen des ersten Semesters des Masters of Arts in Sexologie von einem Student verfasst wurde. Das Essay dient als Lernkontrolle nach dem ersten Semester und ermöglicht den Studierenden, ihr Wissen über die verschiedenen Aspekte der Sexualwissenschaft zu vertiefen und praktisch anzuwenden.